Homerecording / Garage

Seit 2018 bin ich Teil des Ministeriums für Mitgefühl. Der erste Song ist explizit für die Gründung des Kollektivs entstanden, aber auch die anderen entsprechen unserem Credo: Verletzlichkeit zeigen, Trauer und Empathie. Auf Ironie verzichten. Wärmerückgewinnung betreiben in Zeiten der rechtsideologischen Pöbelei.

Wärmerückgewinnung
Liedtext

Wir können Wärme tauschen
wie die Wärmetauscher am Bau
ihr wisst doch ganz genau, wie’s geht

Wärmerückgewinnung ist wie
Wärmerückgewinnung am Bau
ihr wisst doch ganz genau, wie’s geht

Warme Luft die ausströmt
wird genutzt
um kalte Zuluft
zu erwärmen

Kalte Luft die einströmt
muss noch angereichert werden
mit Gespräch

Seid einander zugeneigt
Das ganze Haus
ist nur ein Kreislauf
in dem Ströme fließen
Nimm das kalte Wasser
Du willst Blumen gießen
Sieh wie es verdunstet
Es steigt auf
Es kehrt zurück
Ich geh am Morgen barfuß
Kälterückgewinnung
Durch den Tau
Ihr wisst doch ganz genau, wie’s geht

Luft, die anzeigt
Wo sie herkommt
Was sie ausmacht,
Luft, die sich erfindet
Nicht an Namen bindet
Luft, die lacht
Und große Augen macht und
Luft, die kalte Luft
umhüllt und die uns
die Lungen füllt

Wir können Wärme tauschen

featuring die Ministerin für Mitgefühl
Gitarre, Bass und Produktion: Martin Kaluza

Arme aus Sand
Liedtext

Er ist ein Mensch ohne Netzwerk
Er kann gut alleine sein
Er ist ein Mensch ohne Netzwerk
Jedenfalls bildet er sich’s ein

Er überschaut die Landschaft
So wie den Freundeskreis
Er ist ein Mensch ohne Netzwerk
Aber was er nicht weiß:

Wir sind alle schon da
Bereit ihn zu lieben
Wir wollen ihn wiegen
In unsern Armen aus Sand
Wir sind alle schon da

Ihn verwirren die Punkte,
die die Anderen machen
wie sie die Punkte verbinden
zu einer Blase

Wo sie die Zustimmung feiern,
will er im Zweifel sein
So denkt ein Mensch ohne Netzwerk
Jedenfalls bildet er sich’s ein

Wir sind alle schon da
Bereit ihn zu lieben
Wir wollen ihn wiegen
In unsern Armen aus Sand
Wir sind alle schon da  2x

Was soll denn das heißen?
Wir bedeuten ihm nichts
Wie kann er das glauben!
Wir bedeuten ihm nichts


Wir sind alle schon da…
Bereit ihn zu lieben
Wir wollen ihn wiegen
In unsern Armen aus Sand

entstand zum Herr Nilsson-Revival im März 2018

Lüneburg
Liedtext

Auf dem Hügel liegt der Friedhof.
Wie ein Kopf. Die alten Linden
ziehn sich über seinen Scheitel.
Es ist leicht, zu dir zu finden
Und das Licht fällt durch die Bäume
In die Trauerzwischenräume

Etwas Zeit ist schon vergangen
Es ist trügerisch, der Hügel
sackt und senkt sich, ausgeweidet
Salz ist aus, leer sind die Tiegel
Und die ersten Abbruchkanten
zeigen schon auf die Verwandten

Du liegst auf der Hügelkuppe
Es gibt kaum schönere Plätze
Die Belohnung für dein Herz,
in das ich mich hineinversetze
Ja, er trägt noch deine Socken
Drei verschiedene Kirchenglocken

Uns zu Füßen liegt die Stadt,
in die du mich geboren hast
in die schon du geboren wurdest
und da liegt auch diese tonnenschwere Last:
Dass nach Arbeiten und Geben
nicht Entspannung kam, ein zweites Leben

Dieses Leben führen wir
Dieses Leben führen wir

Du siehst immer noch zum Marktplatz,
Obst-, Gemüse-, Blumenstände,
Und dahinter das Gradierwerk,
Wir leckten unsere Hände
weiß wie Schnee die Sole,
selbst der Hasenburger Bach,
aus dem ich meinen Fußball hole
Alles ist von hier zu sehen
nur das Kind kann nicht verstehen,
welches Glück ich hatte
Wir werden dich ja nie verlieren,
wir werden zwischen Licht
und Schatten balancieren,
wir werden existieren.

Was ich am liebsten tu
Liedtext

Ich hab zwei Söhne und kann sie nicht versorgen
Nicht mit dem, was ich am liebsten tu
Nicht mit dem, was ich am liebsten bleiben lasse
Das Leben ist kein Gasthof Waldesruh

Sie sehn mich jeden Tag vor meinem Bildschirm sitzen
In die Tasten oder in die Saiten haun
Mich von ihnen abzugrenzen, das kommt später
Meine Söhne sind sie nur durch mein Vertrauen

Privatsphäre und Gastfreundschaft
Das ist das größte Spannungsfeld, in dem wir stehn
Geheimnisse bewahren und die Türen aufzuhalten,
einen Spalt breit, um die Not und das Nötige zu sehn

So zerstreu ich mich in tausend Tätigkeiten,
Keine ist dafür gemacht, mich auszufülln
Aber erzählt mir nichts vom Angeln und von Sonnenuntergängen
Ich bin Protestant und habe meinen Willn

Ich bring alles, was ich mache, auch zu Ende,
Mit einer Härte, die mich fast zu Tränen rührt,
weil sie mir gar nicht entspricht, sie ist nur die Reaktion
auf den Versorgungsengpass, der mir die Hand führt

Muss man sich wirklich alles vorher überlegen,
meine Schwiegereltern sagen gerne „Tja“,
du hast zwei Söhne und du kannst sie nicht versorgen
aber wir wissen, du bist immer für sie da.

Damit ist viel gesagt, - auch über meine Branche,
Sie will kein Wir, sondern den Cowboy und die Sucht
Ich bin weit davon entfernt, das zu verübeln
Wir alle sehnen uns nach Kunst mit voller Wucht

Aber wenn Kunst und Leben nur noch Synonym sind,
Dann fehlt mir wohl die Kraft, mich gänzlich zu verzehrn
Ich hab den Kleinen auf dem Arm, den Großen an der Hand,
und den Windeleimer will ich auch noch leern

Und jetzt bin ich hier, das ist schon der ganze Luxus
Live im Leben stehn, und jemand hört mir zu
Bei dem, was ich am liebsten bleiben lasse
Bei dem, was ich am liebsten tu

Das Kaff
Liedtext

Badestelle Dauerwelle
Reihenhaus und Käseblatt
Jugendsünde Schulverweise
Treffpunkt in der Innenstadt
Kormorane überm Kalksee,
ey, was will ich wieder hier
Investoren Hirschhornknöpfe
Townhouse-Riegel, vier mal vier
Dachboden Gewölbekeller,
Planungsfragen Baubefund
Großer Bruder, kleine Schwester,
Fußballplatz und Liebesgrund
Tischlermeister, Sancho heißt er,
Herzattacke Flaschenbier
Nasse Zelle Badestelle,
Tortenguss und Krebsgeschwür
Silberschmuck und fremde Federn,
Wutanfall und Schwesterherz,
Kerzenlicht auf der Veranda
Neue Knospen schon im März
Lieben, Bauen, Bindungsfragen,
feuerrot und kreideweiß
Bleiben oder doch Versacken
Ehrenamt und Mittelkreis

erste Version des Soundtracks zum Roman „Das Kaff“ (2018)

Die Influencerin


Das Lied vom Tun und Lassen

Die Lieder zum Roman, 2011. Nur auf dieser Webseite!

»Sie kommen auf uns zu, ganz leise, die Klänge«: Der Roman kreist um einen Musiklehrer, in dessen Unterricht sich die Schüler zu Bands zusammenfinden. Sie musizieren, schreiben Liedtexte. Einige davon hab ich für diese Webseite vertont.
Fernand Kenzler vom Retox Studio nahm auf und schrieb zusammen mit mir auch die Musik zu »Fünfzehn« und »Das Ende vom Lied«.

Auf, du junger Wandersmann (S.129)
Liedtext

Auf, du junger Wandersmann,
jetzo kommt die Zeit heran,
die Wanderszeit mit Freud und Leid.
Willst dich auf die Fahrt begeben,
das sei jetzt dein neues Leben:
große Wasser, Berg und Tal
dir zu Füßen, mir zur Qual.

Und an einem klein’ren Fluss
findest du zurück die Lust.
Wanderszeit, ich weiß Bescheid!
Wo die Vöglein lieblich singen
und die Hirschlein fröhlich springen.
Dann kommst du vor eine Stadt,
wo man Arbeit für dich hat.

Mancher hat auf seiner Reis’
ausgestanden Müh’ und Schweiß,
Not und Pein, das muss nicht sein;
du trägst Vergang'nes auf dem Rücken,
trägst es über ein, zwei Brücken,
ohne Pause, ohne Rast,
bis du mich vergessen hast.

Morgen, wenn der Tag angeht
und die Sonn’ am Himmel steht
so herrlich rot, fast wie mein Blut:
Musst du auf, dann musst du reisen,
deinem Ego Dank erweisen.
Grausam ist die Wanderszeit,
tschüs, bis bald, in Ewigkeit!

Ich bleib hier, bleib in Berlin,
und werd’ um die Häuser ziehn.
Ich hab Zeit, ich hab Zeit.
Vielleicht unter all den Linden
werde ich dich wiederfinden.
Aber wie viel Jahre Laub
fällt, bis ich den Unsinn glaub’.

Depot (S.214)
Liedtext

Ein Loch gegraben,
tief im Wald, tief in der Nacht.
Alles mitgebracht,
was wir konnten.

Ein Loch gegraben,
alles, was wir miteinander haben,
drin verstaut.

Alles soll uns überdauern,
nichts darf uns verlorengehn.
Unsere Kinder, deren Kinder
sollen diese Welt verstehn,
wie sie einmal war.

Ein Loch gegraben,
nur wir beide wissen, wo,
ein gemeinsames Depot
höchster Ordnung.

Ein Loch wie ein Staat
vor dem Ende aller Staaten.
Es gibt alles, was wir taten,
in Kopie.

Alles soll uns überdauern,
nichts darf uns verlorengehn.
Unsere Kinder, deren Kinder
sollen diese Welt verstehn.

Alle Handlung, alles Denken,
alles aus den Datenbänken,
der Respekt, den wir uns zollten,
was wir voneinander wollten,
was uns voneinander trennte:
Luft und Liebe, Temperamente.
Jede Geste, das Verlangen,
das, was wir bei Tische sangen
jeder Eid, den wir uns schworen:
Nichts und niemand geht verloren

Alles soll uns überdauern,
nichts darf uns verlorengehn.
Unsere Kinder, deren Kinder
sollen diese Welt verstehn,
wie sie einmal war.

Volkslied (S.224)
Liedtext

Du kannst suchen nach Öl und es pumpen,
bis du schwarz bist und badest in Geld.
Doch der einzige goldene Klumpen
hängt oben am Himmelszelt.

Auch dein Herz wird nur so lange pumpen,
bis die Liebste dir gründlich vergällt.
Schau, der einzige goldene Klumpen
hängt oben am Himmelszelt.

In Sack und in Leinen und Lumpen
gehen wir am End’ aus der Welt,
mit dem Blick auf den goldenen Klumpen
oben am Himmelszelt.

Also nimm deinen steinernen Humpen.
Trink mit mir, bis der Mond runterfällt,
und der einzige goldene Klumpen
hinaufsteigt ans Himmelszelt.
Herzlichen Dank an den Chor des »Volksliedes«:
Tamara Bach, Julia, Carlotta und Lilith Bähre, Jakob Dobers, Alexander Gumz, Anne Heinemann, Anisa Kerchel, Karla und Magdalena Montasser, Monika Staudt.

Fünfzehn (S.240)
Liedtext

Durch den Baum fiel Sonnenlicht,
lag auf deinen Haaren,
als du sagtest: Warum nicht,
lass uns baden fahren.

Der See gab uns ein Zeichen:
Wir sollten uns entkleiden.
An den Ufern stand der Mob,
um uns zu beneiden.

Im Wasser unser kurzes Atmen:
schon wie ein Übernachten.
Wir sind hinein, hinausgeschwommen,
und wir lachten.

Ein Netz (S.270)
Liedtext

Heute Nacht hab ich ein Netz
über meinen Kopf gespannt,
hab die Menschen aufgerufen
die ich unersetzlich fand,
und sie hörten, kamen, nahmen
mir die Fäden aus der Hand.

Heute Nacht hab ich ein Netz
für die Menschen aufgespannt,
die mich lehrten oder lenkten,
die Lebendigen und Toten:
Sie begannen, schöne Sätze
ineinander zu verknoten.

Und mein Leben hing zusammen
wie am allerersten Tag.
Unser mein Leben hing zusammen
wie am allerersten Tag.

Alle Freunde warn gekommen.
Doch dann kamen die hinzu,
die mein Leben auch bestimmten
die mir jede Seelenruh
verboten…

Das war meine Schule (S.292)
Liedtext

Das war meine Schule.
Ich geh durch meine Schule.
Von hier gingen die Wege
ins Überall hinaus.

Was hängenblieb, war etwas,
worüber man nichts wusste.
Der Stoff sind tausend Stoffe,
die jeder anders weiterträumte.

Ein Hoch den Unterschieden,
die neue Zeiten öffnen,
und Dank all den Verfickten,
die anders tickten, immer schon.

Ein Hoch den Intervallen,
ein Hoch den Dissonanzen.
Wer anders ist, soll tanzen,
die Arme in der Luft!

Ein Hoch den Horizonten,
und Gott sei Dank Hormone,
es gibt nur eine Jugend
aus zu wenig und zu viel.

Wo ist Claudia Finke?
Was macht Nicola Rauter?
Seid alle heiß und glücklich,
wo immer ihr auch schürft.

Und niemand soll dem andern
in irgendetwas gleichen.
Es gibt kein besseres Zeichen
als Unverständnis pur,

wenn man sich trifft nach all den Jahren.

Das Ende vom Lied (S.302)
Liedtext

Ich soll dich schön grüßen.
Ich soll dich schön grüßen.
Sie steht jetzt auf eigenen Füßen
und lacht.

Sie lacht über dich und sich und alles,
was gewesen ist.
Und dass du ein Arschloch bist,
das sagt sie auch.

Doch du sollst gar nicht büßen,
was du getan hast.
Nein, du sollst gar nicht büßen,
was du getan hast,
das sagt sie auch.

Hat sie das wirklich gesagt,
oder dachtest du dir sowas schon?
Ist das O-Ton?
Welches Café?
Tat es ihr weh oder leid,
trug sie das Kleid,
na, du weißt schon?

Sie kommen auf uns zu:
ganz leise, die Klänge.
Sie kommen auf uns zu:
ganz leise, Gesänge.
Man kann sie schon hören,
bevor man sie sieht:
den Anfang vom Ende,
das Ende vom Lied.

Das Lied vom Vergessen,
vom Trinken und Essen,
vom mutigen Soldaten,
vom Winken und Warten.
Das Lied vom Wandern,
vom zerschossenen Andern,
von blühenden Rosen,
vom ewigen Matrosen.
Das Lied von Stolz und Trauer,
von Flowerpower,
zum Singen und Scherzen,
zum Schein unsrer Kerzen.
Das Lied vom armen Volke,
und das von der Wolke,
vom Klicken und Klagen,
den besseren Tagen.
Das Lied von der Liebe,
ein Lied von Jens Friebe,
das Lied vom Morgenrot,
vom Sonderangebot,
von der Freibeuterei,
vom März und vom Mai,
von der Eiche, der Linde,
dem Blatt im Winde.
Das Lied vom Tun und Lassen,
vom Kriegen und Verpassen.
Das Lied von unseren Jahrn,
vom Herunterfahrn
und vom Neustart.

Vom anderen Ende des Flures

Solo-CD, 2008. Hier bestellen.

Die erste Solo-CD. Jugend bleibt der schönste Weltfluchtort. Auch weil man kaum mehr unterscheiden kann zwischen Klinik und den eigenen vier Wänden: »Das ist kein Zittern, Doktor! Das ist nur diese schwere Kanne Tee.« Auch über das Elend des Mannes, ausgerechnet bei der Ex einen Schlafplatz zu suchen.

01. Ohne Titel
Liedtext

Weil wir am Anfang stehen und weil es langsam reicht,
weil alle alles haben sollen und sich niemand gleicht,
weil wir uns niemals gehören, zu hundert nicht, und nicht zu zweit,
weil Götter zu faul sind, um sich zu bewegen, und stehen doch immer bereit,
weil wir jeden Tag in den Kampf ziehen für unsre Freiwilligkeit,
ritzt er Glas in der U-Bahn, schmeißt die Tür seines Zimmers und hört Musik.

02. Die frühen Verluste
Liedtext

Sie nahmen uns die Mutter, den Daumen, den Wagen, auch das Haus,
und was man uns auch anzog (es passte ja), man zog es uns wieder aus.
Es starb der Wolf, es fiel der Storch, es kam kein Weihnachtsmann.
Sie nahmen uns die Luft, die man so schwer ersetzen kann.
Wir zeigten gute Noten, sie nahmen uns den Stolz.
Der Wald verschwand im Nebel, und in Möbeln ohne Holz.

Sie nahmen uns das Schreien, danach die Müdigkeit.
Die Müdigkeit kam wieder, wir waren noch nicht soweit.
Es gab kein Schoko mehr am Morgen, kein Fernsehen vor acht.
Um alles, was wir hatten, hat man uns wieder gebracht.
Sie nahmen uns den Ball weg, nur damit das Fenster blieb.
Keine Tomatensoße mehr und zum Nachtisch Kalter Krieg,
aber selbst der wurde zurückgezogen, er hätte uns verstört.
Die Schallplatten zerbrachen, noch bevor wir sie gehört.

Wir hatten keinen Bau mehr, keine Hütte und kein Nest,
da nahmen sie uns den Himmel und gaben uns Arrest.
Wir wollten alle nicht mehr wachsen, wir blieben jahrelang stehen,
nur um weiter in den heißgeliebten Turnschuhen rumzugehen.
Wir waren zu altklug um zu lieben, und zu jung um abzuhauen.
Nichts war mehr da, nur im Supermarkt, und wir fingen an zu klauen,
was man uns vorenthielt: kleine Fläschen, Zigaretten, Milch im Tetrapak.
Wir nahmen Dinge in den Mund, die fast undenkbar waren, auch: Fuck!
und Leck mich! Geh kacken! Verpiss dich, du Geschwür!
Ey, wer hackt mir die Finger ab, wenn ich die Schlampe noch mal berühr?
Wir haben uns vollgestopft, aufgeplustert und am Abend noch entleert.
Im Radio sang einer: Abschied ist ein scharfes Schwert.

Man nahm uns Klassenfahrt und Freizeit, später auch den Sportverein.
Alles vergeht, fängt an zu blühen und sagt am Ende wieder Nein.
Wie die Weiden sich verneigen oder der Wacholderstrauch,
wie er sich biegt, als würd er zuhören, und vielleicht tut er das ja auch.
Jedenfalls brennt er nicht und spricht nicht, dazu sind wir auserkoren.
Man sieht sich immer zweimal – wer das glaubt, hat schon verloren.

03. Stillgelegte Gleise
Liedtext

Das Feld wird gedüngt, der Wald wird verjüngt, überall Schneisen.
Die Stromleitung spannt sich weit übers Land und meine Reisen.
Die Zeitung im Zug, es gibt immer genug, um darauf zu verweisen.

Ich hab gar nicht den Eindruck, dir entgegen zu fahren.
Mir fällt immer nur ein, wo wir stehengeblieben waren.

Stillgelegte Gleise mit unsern alten Waggons.
Unbewegt und leise gleiten sie in mich zurück und mit mir davon.


Das Dunkel gewinnt, eine Wiese zerrinnt zwischen den Kühen.
Man hat, was man hat, kommt in die Nähe der Stadt, ohne sich zu bemühen.
Mauern ziehen vorbei, da wär ich gern mal dabei: schweigen und sprühen.

Und ich spür nicht mal die Sicherheit, dich zu erkennen.
Dieser Zug ist zu kurz, um jetzt noch wegzurennen.

Stillgelegte Gleise mit unsern alten Waggons…

04. Bed & Breakfast
Liedtext

Wir wollen Bed & Breakfast.
Nur heute den entspannten Augenblick.
Nichts als unsere Ruhe.
Nichts als ein weiches Kissen im Genick.

Das ist kein Weinen, Doktor,
das ist nur dieser angenehme Wind.
Nur heute Bed & Breakfast
und dass wir von der Liebe ausgenommen sind.

Das ist kein Zittern, Doktor,
das ist nur diese schwere Kanne Tee.
Ich will doch nur entspannen,
mir tut im Grunde überhaupt nichts weh.

Morgen sind wir wieder draußen, das ist uns immer geglückt.
Morgen spielen wir ganz bestimmt wieder verrückt.


Die Klinik voller Fotos,
auf allen Fluren prächtig anzuschauen.
Fotos aus Vergangenheiten.
Es sind darauf verdächtig viele Frauen.

Morgen sind wir wieder draußen, das ist uns immer geglückt.
Morgen spielen wir ganz bestimmt wieder verrückt.

05. Jünger waren
Liedtext

Ein Windstoß. Die Blätter. Die Schwerkraft. Der kreischende Fall.
Ein Windstoß. Die Türen. Dein Abgang. Der leiseste Knall.
Eine Welt, hingeschmissen. Nur noch da, sie zu vermissen.
Jede Uhr hinterlässt, was sie nicht halten kann.
Alles nur weil wir vor vielen Jahren jünger waren, jünger waren.

Ein Fremder kommt näher, bleibt stehen, hält sich zurück.
Du bist. Du bist nicht. Er sieht es und will sein Glück,
erst wenn ich an deinem langen Arm verhungert bin.
Was soll ich denn bitte machen? Ich bleib hier, geh nirgends hin.
Alles nur weil wir vor vielen Jahren jünger waren, jünger waren.

Die Dinge verfärben. Ein Sterben. Sie zerfasern ins Nichts.
Papiere vergilben, verlieren ihr letztes Gewicht.
Unser Leben ist zergangen. Aus dem Herbst entsteht ein Winter.
Unser Leben war Verlangen. Wo’s vergeht, entsteht dahinter
Neues. Nacktes. Anmut. Schönheit.

Alles nur weil wir vor vielen Jahren jünger waren, jünger waren.

Geh und zeig’s dir
leb dich aus
lass es krachen
komm nach Haus.

06. Mein Tag

07. Paradies
Liedtext

Wir rissen uns die Kleider vom Körper.
Das Wasser glitt wie kaltes Zellophan
über die Steine, über die Steine, über die Steine,
und ich wusste, dass wir angekommen waren.

Es schwoll, und es toste und brauste
wie in tausend Gedichten zuvor,
in denen sich die Menschen vergaßen
und den Sand aus den Augen verloren.

Wir hörten uns nicht, doch wir winkten
von den Steinen, die Inseln waren,
eine Kette aus Inseln, von denen wir vereinzelt
zu den anderen hinüber sahen.

Diese Schlucht ist es, sie ist genau, wie es in den Karten hieß.
Die hier ist es, diese Schlucht führt hinein ins Paradies, hinein
ins Paradies.


Wir rissen uns die Kleider vom Körper.
Das Wasser glitt wie kaltes Zellophan
über die Steine, über die Steine, über die Steine,
und ich wusste, dass wir ausgebrochen waren.

Was immer die Schatten auch schluckten,
es blieb noch im Dunkel bestehen.
Es hieß ja, man hat uns vertrieben,
dabei konnten wir freiwillig gehen.

Und das Wasser, das Wasser, das Wasser
war sich nur über sich selbst im Klaren.
Das Dunkel, das Dunkel, das Dunkel
hatte über sich hinaus keinen Plan.

Wir sahen hinauf in die Sterne
mit Geschlechtsteilen, schrumpelig klein.
Ein jeder verstand: Der nächste Verrat
wird nie der letztgültige sein.

Diese Schlucht ist es, sie ist genau, wie es in den Karten hieß.
Die hier ist es, diese Schlucht führt hinaus aus dem Paradies, hinaus
aus dem Paradies.

08. Galeerenporno

09. Die Vielfalt
Liedtext

Wertungen und Zahlen
von der ersten Zählzeit
bis in die Unendlichkeit
und alles, was dazwischen tickt.

Meinungen und Thesen
über das Gebären,
über das Verwesen
und alles, was dazwischen lebt.

Die Vielfalt kommt nach jeder Illusion,
die Vielfalt kommt nach jeder Illusion.
Die große Vielfalt ist der allerletzte Lohn
zwischen Schritten, die du lenkst,
kommt sie anders, als du denkst.


Haltungen und Töne.
Das waren große Schriften?
Sag mal, willst du mich vergiften?
Unten steht das Altpapier.

Ausblicke und Wege
aus der bösen Krise
auf die grüne Wiese,
es spielen schon wieder Kinder drauf.

Die Vielfalt kommt nach jeder Illusion,
die Vielfalt ist der allerletzte Lohn.
Sie macht alle Götter klein.
Sie holt jeden Menschen ein.
Sie wird niemanden befreien.


Manchmal zählt allein
der Stolz und die Trauer,
ein anderer zu sein
(als du oder er oder sie),
manchmal zählt allein…

10. Kommando Kassandra
Liedtext

Erfasst unser Haus.
Vermesst das Gelände.
Kommt näher heran.
Das sind doch für euch keine Wände.

Alles ist dunkel.
Benutzt eure Hände.
Ich weiß, dass ihr’s könnt.
Wir sind hier am Ende
des Flures. Nichts Stures mehr in uns,
keine Spur mehr von A oder O.

Schnürt uns zusammen.
Checkt unsre Daten.
Wir sind die Letzten,
die euch erwarten.

Reißt uns das Maul auf.
Leuchtet hinein.
In unsere Seelen.
Mit euren Taschenlampen.

Weil ihr wisst, was passieren wird (Kommando Kassandra),
müsst ihr euch opfern (Kommando Kassandra),
für uns Nullen und Einsen,
für uns Nullen und Einsen.
Ihr habt keine Freunde,
und wir wären die Letzten,
weil ihr wisst, was passieren wird,
müsst ihr euch opfern,
für uns Nullen und Einsen.

11. Tralfamadore
Liedtext

Ihr aufgeschlagenes Bett.
Am Waldrand ihre Hausschuh.
Im Mittelpunkt des Feldes wächst kein Korn.

Ihr aufgeschlagenes Buch.
Am Waldrand ihre Hausschuh.
Im Mittelpunkt des Kreises liegt ihr Kleid.

Sie sind eines Nachts gekommen
und haben meine Frau, die wandelte im Schlaf,
mitgenommen.


Ihr aufgeschlagenes Bett.
Am Waldrand ihre Hausschuh.
Im Mittelpunkt des Feldes wächst das Licht.

Sie sind eines Nachts gekommen
und haben meine Frau, die wandelte im Schlaf,
mitgenommen.


Die Untertassen fliegen.
Die Tassen stehen im Schrank.
Nicht alle, Gott sei Dank.
Ich bleibe liegen.

Sie sind eines Nachts gekommen …

12. Beruflich in der Stadt

13. Wellness
Liedtext

Der Wind geht draußen durch die Bäume.
Die Bäume stehen hinter Glas.
Wir sitzen auf der Stufe im Wasser,
unter unseren Füßen ist das Licht.

Nach dem ganzen Stress
Wellness, Wellness
denn wir haben noch so viel vor.


Ich höre Bach im Dampfbad,
Entspannungsmodul Nummer 3.
Wir sind die mit dem grünen Armreif:
Bioessen und kein böses Chlor.

Nach dem ganzen Stress
Wellness, Wellness
denn wir haben noch so viel vor.


Du kannst endlich mal wieder schlafen,
ich lass mich noch nachts massieren.
Ich denk, solange der Mensch sich verwöhnen lässt,
kann ihm eigentlich nichts passieren.

Dass man am ersten Tag alles gesehen hat,
macht den zweiten erst richtig schön.
Die echte Entspannung: zu denken, was geht –
und dann nicht hinüberzugehen.

Nach dem ganzen Stress Wellness,
denn wir haben noch so viel vor.


Der Wind geht draußen durch die Bäume,
die Palmen an der Autobahn.
Ich freu mich unfassbar stark auf Berlin,
und du sagst, ich soll langsamer fahren.

Presse

»Ein kleines deutsches Plattenwunder.«
FAZ


Herr Nilsson: Einfacher sein

CD, 2003. Nicht mehr lieferbar.

Das Label hieß Textpop. Transparenz, Groove, trockener Sound. Im Bauernhaus aufgenommen, nah an der Elbe, mitten in der Elbflut. Daher das Lied von den vielen komischen Gästen, denen man trotzdem die Tür aufmachen sollte. Mit einem amerikanisch-deutschen Duett über den Teufel Egomanie.

01. Die Vitamin B-Werke
Liedtext

Reih dich ein
zeig uns erst mal deine laschen Seiten
deine Hände in den Hosentaschen
hier darfst du feist sein
wir brauchen wirklich keine raschen
Bewegungen Überlegungen, trink ein Gläschen Wein
du kannst hier auf den Boden aschen
was wir hier herstellen? Wir waschen alle unsere Hände drin
wir werden alle nicht allein
schuld sein

Dies ist eine Kumpanei, ein echter Freundeskreis,
wo jeder nur das Nötigste vom anderen weiß.
Eine Kumpanei, die es sonst nicht mehr gibt.
Wir garantieren dir: Die Schlauen werden ausgesiebt


Lass dich gehen
du musst nicht alles verstehn, nur vergiss
vergiss die Qualität, denn Qualität ist Rarität
und Rarität erzeugt da draußen nur noch Misstrauen
man wird doch ständig übers Ohr gehauen
die Leute kaufen billig, sie haben keine Zeit,
sich überzeugen zu lassen
und auch die öffentlichen Kassen sind leer,
ist denn das so schwer zu fassen?

Dies ist eine Kumpanei…

Mach mal halblang
hier gibt’s kein Angst und Bang
hier gibt’s nur eine Pflicht: Beziehungen zu knüpfen
mehr erwarten wir nicht, ansonsten
kannst du durch die Welt hüpfen.
Das ist hier absolute Gleitzeit,
nimm dir erst mal n Kaffee
und wenn du gehen musst, geh, das geht o.k.,
jede Idee kommt, wenn sie an der Reihe ist.
Du kannst solange auf den Boden aschen.
Micha ist im Chatroom? Micha spielt Doom?
Geh mal rüber zu Micha, der weist dich ein, kann sein,
wenn er gerade Bock hat…

Dies sind die Vitamin B-Werke
und unsre echte Stärke ist nicht Genauigkeit,
ist nicht die Vertraulichkeit, ist nicht die Disziplin,
ist nur der Uhrzeigersinn, mit dem wir uns drehen,
ist nur der richtige Anruf zur richtigen Zeit,
jetzt gib mal her, deine Bescheidenheit,
nimm dafür Vitamin B, nimm zwei,

Dies ist eine Kumpanei, ein echter Freundeskreis,
wo jeder nur das Nötigste vom anderen weiß…

02. Das Haus
Liedtext

Er wollt vieles vor den Kindern unzugänglich aufbewahren
und jetzt weiß er nicht mehr: Wo hat er das Ding bloß hingetan.
Ist es in dem kleinen Schuppen, der im Garten steht,
oder unter der Treppe, die sich in den Keller dreht.
In der Kammer ist es nicht, obwohl sie Abstellkammer heißt,
höchstens oben auf dem Boden, da liegt etwas, das verweist
auf dasjenige, das weg ist, und er folgt der Spur,
doch im Küchenschrank ist nichts, er wühlt im Hausflur
zwischen den Jacken und den Mänteln, unter den Hüten seiner Frau.
Manchmal hält er inne, sagt: jetzt weiß ich es genau...aber nein

Er will das Haus auf den Kopf stellen. Das Haus hat Kraft.

Er wollt vieles vor den Kindern unzugänglich aufbewahren.
Was die alles wissen wollen, in den ersten Kinderjahren
war es richtig, so zu handeln, doch jetzt ist die Zeit,
wo verborgene Geschichte aus den Schubladen schreit.
Er sucht täglich nach dem Ding, es kommt nur nachts und raubt
ihm den Schlaf. Er wandelt durch die Diele, wo er glaubt,
es zu sehen, er greift hastig und schlägt dabei lang hin.
Ein Geräusch aus kalten Kacheln unter seinem Unterkinn.
Er steht nackt im Garten, wo ist der Gegenstand?
Ist er ausgestorben, abgeholt, zerfalln oder verbrannt?

Er will das Haus auf den Kopf stellen. Das Haus hat Kraft.

Seine Kinder fahrn zur Schule, seine Frau fährt ins Büro,
und er steht am Küchenfenster, winkt und lächelt und ist froh,
allein zurück zu bleiben, er gräbt im Garten tief.
Alle Möbel stehen anders, alle Bilder hängen schief.
Immer wieder kleine Funde, die er nicht so sehr vermisst
wie das andere, das sein ein und alles ist, alles ist, alles ist
Mangel

03. Das Zugezogene

04. Der Gast
Liedtext

Der Gast aus Schachtelhalm
Der Gast aus Heidesand
Der Gast aus Schlachtensee
Der Gast aus Hinterland

Der Gast aus Gottesfurcht
Der Gast aus Pfaffenhof
Der Gast aus Schattenriss
Der Gast aus Bodenlos

Und wir stehen im Garten, Zigarette, Unterhemd
und wir öffnen unsere Pforte, leicht verwundert, leicht verklemmt.
Wir lachen über Spuren unseres Lebens, bis in dieses Haus hinein
bald ergeben sich die Gründe, miteinander hier zu sein.
Wir trinken Wein.


Der Gast aus Meeressalz
Der Gast aus Engelshaar
Der Gast aus Offenbach
Der Gast aus Sternenklar

Der Gast aus Himmelweit
Der Gast aus dem Kosovo
Der Gast aus Blütenstaub
Der Gast aus Nichts und Nirgendwo

Und wir stehen am Fenster, Zigarette, Unterhemd
und wir öffnen unsre Pforten, leicht verwundert, leicht verklemmt.
Unsre Hände, ungebunden, zeichnen Sprachen in den Raum.
Keine Welt bleibt unerfunden, doch wir verfremden dabei kaum.
Wir trinken Wein.


Der Gast aus Meeressalz
aus Rheinland-Pfalz
aus Pristina
im Januar
aus Soundso
aus dem Kosovo
ein Gast als Allianz aus
Hans und Franz

aus Meeressalz…

05. Das Ende der 70er Jahre
Liedtext

Man verkauft uns die Innere Sicherheit
von Zeit zu Zeit
lauert die Grausamkeit
an jeder Straßenecke
gibt es die Droge, die Nadel,
die Abhängigkeit, denn die Angst
um die innere Sicherheit
ist eine Ware, doch

Das Ende der Siebziger Jahre ist nah

Bleibt doch zuhause mit der Inneren Sicherheit,
dass ihr hier draußen sowieso nur die Opfer seid
von Zeit zu Zeit schwappt
die sicherste Einsamkeit
aus jedem Zeitungskiosk
schwarz auf weiß.
Das Zeug ist zwar billig,
aber es macht überhaupt nicht breit
diese innere Sicherheit
ist eine Droge
ist eine Mode
ist eine Ware, doch

Das Ende der Siebziger Jahre ist nah
Das Ende der Siebziger Jahre ist nah

06. Gibt es da etwas

07. Lichter

08. Die Agentur

09. Jack, Part II
Liedtext

Ich habe ihn wiedergetroffen
er saß an der Bar
von der Tanzfläche (kam) Nebel
und ein Licht, das rot war,
floß über sein Gesicht in die
Vergangenheit, auch ich war
aus der Zeit herausgefallen, hatte
vergessen mich anzuschnallen,
mich um den Baum gewickelt,
Jahre später, doch im selben Tal,
wo ich ihn einmal

Er hat mir nichts vorgeworfen
und kein Duell angeboten, so unter Toten
läßt die Kampfeslust nach, er sprach
von Familie, die man verteidigen muß
bis zum Schluß, daß man der Mutter sich
vereidigen muß, nicht dem Staat, er habe
das hier unten gelernt unter all den
Einzelgängern, daß sie den Rückweg nur
verlängern, auch er habe sich zu weit
entfernt von zuhaus, aus der Kindheit
heraus…

So hat er sich ausgegossen
er hatte nach all den Jahrn längst erfahrn,
daß ich sein Übeltäter war, und er fuhr fort,
nicht vom Mord, sondern wie sehr er mich
verstünde, durch die Blindenbinde der
Iustitia säh er sonnenklar meine Schwester,
deren bester Freund er sein wollte, und die
gelinde gesagt steif war, heute wisse er:
nicht reif war, denn sie war vierzehn und
so hat es angefangen, indem er sich vergangen hat an ihr...

Ich hörte zu, wie er von Mutter sprach,
meiner Mutter, die hinzugekommen, die ihn
sich vorgenommen hat, so wie man nur
noch in Amerika schimpft, sie hat mich so
verunglimpft, sagte Jack, und da sei er halt
zurückgekommen, an einem heißen Tag,
er sagt, er weiß, daß ich im Kinderzimmer lag
und hörte, wie ein langer Vokal aus dem Mund
meiner Mutter unter dem Knebel erstickte,
ihre Knie auf dem Holz nebenan, daß sie einknickte,
was dann kam, hat er nicht gewollt…

So hat er mich angesehn, er sagte,
er könne mich so gut verstehn, wenn irgendjemand
seine Mutter oder eine seiner Schwestern, er hätt
genau den gleichen Western gedreht,
er sagte, daß er sich für mich auch freue,
denn die Familientreue, mit der ich an ihn herangetreten sei,
ginge den meisten doch heute ab, wie sehr er selbst bereue,
daß seine Mutter sich zu Tode säuft,
er habe nichts dagegen getan, auch sie wird niemals
in den Himmel fahrn,

Wir tranken blutige Mary mit viel Eis, es war verdammt heiß,
und Jack war nicht mehr zu halten, ich sollte ihm
den Tag bebildern, die Schüsse schildern: „Wie gefühlsecht
hast du dich damals an mir gerächt? Sag schon,
warst du mehr Bruder oder Sohn?“
Er könne sich null an seinen Tod erinnern. Und ich berichte ihm,
daß ich im Rücken stehe, ihn nur vor mir sehe, mich nicht zeige,
ihm total feige sechs Kugeln…

Da weitet Jack die Augen, er steht auf, scheint den Gewehrlauf
im Rücken zu spürn, ich denk, er will seine Hand an meine Kehle führn,
doch er umarmt mich, er sagt, er hat mich immer hoch geachtet,
aber jetzt, sechs Kugeln, daß ich ihn dermaßen abgeschlachtet,
dieser Stolz, der da aus meiner Handlung spricht,
das habe er sich nicht vorstellen können, das sei so groß,
dagegen sei er noch ein zweites mal machtlos,
o.k., o.k., hier entartet es zum Plädoyer für die Todesstrafe,
ich hatte nur noch Hohn übrig für ihn,

Jack fiel vor mir hin, Jack lallte weiter von dem Lebensgewinn,
daß ausgerechnet ich sein Mörder sei, daß ich das bin, daß er
mich kennenlernen durfte, er stützte sich auf mich, ich schrie noch:
Lass mich endlich in Ruh… und dann schlurfte er aufs Fegefeuer zu…

Ich hab ihn wiedergetroffen…
er saß an der Bar
he was far gone
what the hell had happened to him

10. The World Needs Me

11. Die Gemüsefrau

12. Ich geh heim

Presse

»ein kleines aber sehr feines Ereignis deutschsprachiger Popmusik.«
Spiegel Online (Die wichtigsten CDs der Woche)

»Sehen sie sich diese jungen Männer genau an, denn das sind die Popstars von morgen. Ihre Qualitäten als Arenenfüller haben sie bereits unlängst bewiesen, als sie zur Record-Release-Party ihrer neuen Platte ›Einfacher sein‹ die Kulturbrauerei mal eben locker ausverkauften.«
zitty Berlin

»Für die Freunde anspruchsvoller deutscher Popmusik, im Stile von Blumfeld und Element of Crime, kommt in diesen Tagen ein Album in den Handel, das den geneigten Hörer geradezu auffordert, sich intensiv und aufmerksam mit den erstklassigen Texten und der virtuos dargebrachten Musik zu beschäftigen.«
filmstarts.de


Herr Nilsson: Die Vitamin B-Werke

EP, 2003. Hier bestellen.

Radio Edit und Remix von Vitamin B-Werke. Und Flo Schefflers Mix von Ronaldo, dem Song auf deutschen Willen und brasilianischen Glauben, also dem traumatischen Fußball-WM-Finale 2002.

01. Die Vitamin B-Werke (Radio Edit)

02. Die Vitamin B-Werke (Remix)

03. Das Haus (Remix)

04. Ronaldo (Remix)
Liedtext

Als wir glaubten, dass,
wer wirklich etwas will,
alles kann und erreicht.

Als wir glaubten, unser Land
sei jawohl dafür bekannt,
sich so durchzumauscheln,

kam ein Ball, dem man nicht ansah,
dass die Brasilianer tiefer glauben,
kam der Heiland höchstpersönlich,
um ihn abzustauben.


Als wir glaubten,
unser Torwart sei Achill
mit gut zugetapeten Fersen.

Als wir glaubten, unsere Zeit
für die Einschussmöglichkeit
sei jetzt greifbar nahe,

kam ein Ball, dem man nicht ansah,
dass Rivaldo ihn, und dann der nasse Boden,
und der Bänderrriss im kleinen Finger
unseres Gottes, den noch keiner ahnen konnte,
und die Handschuh, ja die Handschuh,
und die Nässe, der japanische Monsun,
und in Zeitlupe, er krabbelte, ein Kind, durch den Moment,
in dem wir mitgestorben sind, und der Heiland stieg hinab,
nur um auszuführn, was man ihm aufgetragen,
und uns Atheisten kurz zu sagen:

Oliver Kahn, in der Designerbrille
spiegelt sich dein deutscher Wille,
siehst du nicht, dass Brasilianer tiefer glauben, tiefer glauben,
und wenn nötig abzustauben kommen.

Da kam ein Ball, dem man nicht ansah,
dass die Brasilianer tiefer glauben,
kam der Heiland höchstpersönlich,
um ihn abzustauben.

05. Die Vitamin B-Werke (Video)


Herr Nilsson:
Der erste eigene Wasserwerfer

Live-CD, 2000. Hier bestellen.

Livealbum aus der Kalkscheune in Berlin-Mitte. Mit den Beatversionen der Klassiker, Sprechtexten zum Klavier und Interna aus dem Übungsraum: dem intimen Streitsong um die politisch-apolitische Bandperspektive.

01. Der Junge und das Mädchen
Liedtext

We were so aufgedreht
Us was so langweilig,
and our parents went zur Arbeit.


Auf der großen Landstraße
geht der Junge mit dem Jagdgewehr.
Er schießt auf ein Bündel Schwalben,
er schießt auf einen Heißluftballon.
Der Ballon geht mit der Erde,
und die Erde ist gekrümmt,
schwer zu sagen, ob er abstürzt
oder sich am Horizont verliert.

Auf der großen Landstraße
legt ein Mädchen Tellerminen
aus dem Riesenbalkanfundus,
der zurückgekommen ist.
Sie sprengt ein Getreidesilo,
eine verhasste Pilzkolonie
aus dem Rande ihrer Kindheit.

Der Junge und das Mädchen
gehen aufeinander zu,
sie stehen sich gegenüber und sie haben einander lieber
als die ganze Welt zuvor,
sie knebeln den Konditor eines Dorfes,
sie steigen in den Tabakladen ein,
dort ballern sie ein wenig und bekreuzen jeden Schein
der Klassenlotterie, und in der Euphorie
sagt sie zu ihm: »Wir kaufen vom Gewinn
nen eigenen Wasserwerfer, und dann fahren wir darin

auf der großen Landstraße…«

We were so aufgedreht
Us was so langweilig,
and our parents went zur Arbeit.

02. Sozialisation

03. Einfacher sein

04. Aus der Bundesdruckerei
Liedtext

Und er zählt jeden Tag frische Scheine aus der Bundesdruckerei,
und erzählt seinen Söhnen jeden Abend, dass die Welt verkommen sei
und dass nicht mehr viele Menschen existieren,
die beim Anblick frischer Scheine ihre Nerven nicht verlieren.

Er steht 5.45 Uhr auf und hat nichts Besseres vor,
als hinabzusteigen in den neuen Sparkassentresor,
das war früher ein Atomschutzbunker, aber unsere Welt
hat sich durchgesetzt.

Und sein Arbeitstag gibt mir neun Stunden Zeit,
für ein Lied auf seine eingefleischte Ehrlichkeit:

Er zählt jeden Tag frische Scheine aus der Bundesdruckerei,
und erzählt seinen Söhnen jeden Abend, dass die Welt verkommen sei
und dass nicht mehr viele Menschen existieren,
die beim Anblick frischer Scheine ihre Nerven nicht verlieren.

05. Heimatlied

06. Unser Dorf

07. Hartes Brot

08. Jack
Liedtext

Ich habe auf Jack geschossen. Ich sah ihn im Tal
und ich dachte mir: Wann siehst du Jack schon noch mal.
Ich habe auf Jack geschossen.

Er hat recht viel Blut vergossen.
Ich wollte schon gehen und dachte: Hey Jack,
wir haben uns ja lange nicht gesehen.
Ich habe auf Jack geschossen.

So ist er dahingeflossen.
Sein Blut war ein Fluss,
der auf längere Zeit im Hudson River münden muss.
Ich habe auf Jack geschossen.

Ich hab damit abgeschlossen.
He’ll never come back.
Das ist so ein Kreuz hier mit Rückenschüssen,
doch das wusste auch Jack.
Ich hab damit angefangen,
und ich hab es durchgezogen,
sechs Mal, Jack ist gefallen, und dann gleich
hinaufgeflogen…

Ich werde an seinem Haus vorbeiziehen. Will I stand Jacks funeral?
Ich werde in seinen Vorgarten spucken. Will I stand Jacks funeral?
Ich werde einfach mitgehen, hinterher,
mir nichts anmerken lassen. Will I stand Jacks funeral?
Sie werden es mir immer wieder beweisen wollen. Will I stand Jacks funeral?

09. Dä Fürä privaat

10. Dein Bruder

11. Falk

12. Schwarze Seele

13. Auf der Hochebene
Liedtext

Auf der Hochebene geht ein Wind,
und dass wir endlich zu dritt hier hinaufgekommen sind,
ist ein Glück, denn wenn einer hinfortgetragen wird,
stellt ein Anderer sich ihm in die Bahn.
So fliegen wir im Wind, prallen aneinander ab.
Die Zusammenstöße schmerzen, doch wir lachen nur, ich hab
keine Ahnung, wem die Landschaft hier oben gehört.
Ich hab mich so lange gewundert, warum wir uns verstehn.
Doch wir sind so lange gewandert, ohne uns verloren zu gehen.

Auf der Hochebene geht ein Wind,
und dass wir schließlich zu dritt zurückgeblieben sind,
ist ein Glück. Unsere Leichtigkeit ist ein Entschluss,
der unsere Freunde in den Tälern beleidigen muss.
Wir wissen, niemand hat uns wirklich ganz bewusst betrogen,
nur die Wegweiser waren alle drei- bis viermal umgebogen.

Auf der Hochebene geht ein Wind,
und dass wir endlich zu dritt hier hinaufgekommen sind,
ist ein Glück, denn wenn einer hinfortgetragen wird,
stellt ein anderer sich ihm in die Bahn.
Die Wegweiser verblassen, die Nacht ist sternenklar.
Drei, die wissen, daß ihr Hassen nicht vergeblich war.
Jedes Wort geht gegen Ende, jede Herrschaft ist mal dran.
Drei, die ahnen, daß die Ebene bevölkert werden kann,
denn der Wind, der Wind, das himmlische Spiel,
der Wind will, daß die Menschen sich berühren.

14. Bandperspektive 2000
Liedtext

Wir saßen wieder zu viert in unserer Runde,
die drei andern Spinner hier und ich. Stimmung angespannt.
Ich sagte, ich kann diese unpolitischen Lieder nicht mehr hören,
und was dann folgte, hätt ich vor zehn Jahren noch
Grundsatzdiskussion genannt.

Nur wo waren heut die Grundsätze? Ach, wir warn betrunken.
Basti sagte immer nur: »Du, Demokratie interessiert niemanden mehr.«
Ich sagte: »Sie hat aber zu interessieren, wir haben alle unseren Auftrag!«
Und er: »Na, du bist auch der Sänger. Sänger haben ’s natürlich schwer.«

Peter warf nur immer Krümel hinter sich, sagte: »Kohl, Schröder, Schröder, Kohl.«
Irgendwann brachte er Rhythmus in sein Gefasel, um uns an die Instrumente zu ziehen.
Ich sagte: »Nee nee, Peter, hör mal auf, es geht überhaupt nicht um die Kanzlerwahl,
es geht um dein Konfliktpotential, und wofür du auf der Bühne noch bereit bist, einzustehen.

Felix nickte dumpf und meinte: »Schreib doch was du willst, aber
vergiss nicht deine Leichtigkeit«, und ich krümmte mich ins Sofa,
ich sagte: »Mir fällt das Leben zur Zeit aber so schwer!
Basti meinte: »Wenn die Themen auf der Straße liegen,
dann müssen wir halt die Leute interviewen und reinsampeln«,
und dann sagte er noch: »Demokratie interessiert heut niemanden mehr.«

Jeder nahm sich noch n Bier und sprach über seine Desillusionen,
dabei gibt’s das Wort ja gar nicht, aber es passt hier ganz gut rein.
Irgendwer zog dann alles ins Private, dreimal Partnerprobleme,
und Basti: »Es will doch heute niemand mehr glücklich sein.«

Was waren wir doch für Kämpfer im Herzen unsrer Hauptstadt!
Peter machte Kerzen an, und die Kerzen, sie verschwommen
zu Lichterketten, immer noch. Felix sagte: »Wir sollten vielleicht gehen«,
und ich: »Nein, ich spür da was, etwas Großes ist im Kommen.«

Alles wachte nochmal auf, es ging um die Bandperspektive,
und wir lallten uns einander Begeisterungen zu.
Wir müssten weiter an uns arbeiten, uns einfach nur verhalten,
und Peters Trost: »Ob das dann unpolitisch oder politisch klingt,
entscheidest sowieso nicht du.«

Dann plötzlich dieser Marillenbrand, und noch eine Packung Zigaretten,
und Basti meinte: »Wisst ihr, wie wir uns mal so richtid sozial engagiern?
Wir drehen so ’n Splattermovie, gegen die neue Sauberkeit der Stadt,
einfach die Fassaden der Neuen Mitte mit Kunstblut beschmieren.

Königliches Gelächter. Jetzt waren wir mal die Dekadenten.
Und wir stellten uns den armen alten Herrn Nilsson als Serienmörder vor.
Wir sprachen so lange über abgehackte Hände, Finger, Beine,
bis auch ich einsah: Das Auge ist tatsächlich noch unpolitischer als das Ohr.

Basti und ich, wir pendelten durchs Treppenhaus hinab.
Und ich dachte, was uns außer der Gitarren auf dem Rücken noch verband.
Ich fragte: »Das mit der Demokratie, du, ist das dein Ernst?«
Und er: »Ey, was machst du eigentlich mit der ganzen Moral in deinem Verstand?«

Peter, du, es geht überhaupt nicht um die Kanzlerwahl, es geht um unser Konfliktpotential, und wofür wir auf der Bühne noch bereit sind einzustehen.

15. Postmoderne

16. Schlußlied

Presse

»…dass die doppelbödigen Songtexte von Herr Nilsson wie kaum zu vertonende Prosagedichte erscheinen. Um so verblüffender ist, dass dabei kollektiv erarbeitete, oft leichtfüßig swingende Pop-Ohrwürmer herauskommen.«
Tagesspiegel

»Mit seinen melancholischen Texten über das Ankommen in der großen Stadt zielt Frontmann Böttcher mitten ins Herz seines Publikums.«
Die Welt, 2001


Herr Nilsson ist ausgezogen

CD, 1999. Hier bestellen.

Dorfkrug und Krötenwanderung als letzte Reminiszenz. Berlin rules. Herr Nilsson hat die Trommeln ausgepackt. Mehr Pop entsteht, mehr Jazz aber auch. Mit der bis heute nicht geklärten Frage: Wenn wir weniger schlafen, warum arbeiten wir mehr?

01. Koalitionsgespräche
Liedtext

Unsere Urlaubsreise in den Harz.
Ich wollt eigentlich ans Meer.
Die Regierung war noch gelb und schwarz.
Kompromisse sind so schwer.

Was wir alle voneinander wollen,
ich weiß es nicht genau.
Die Regierung ist jetzt rot und grün,
und dein Pullover ist jetzt blau.

Koalitionsgespräche
gibt es von Anfang an.
Koalitionsgespräche
dauern ein Leben lang.


Weißt Du, diese Tage,
wir haben beide ganz dasselbe erlebt
und am Abend zusammengetragen,
was sich eigentlich von selbst versteht.

Die Regierung wird mal silber-gold.
Ich vergesse dein Gesicht.
Was wir hatten, haben wir so gewollt.
Was wir wollen, hatten wir noch nicht.

Koalitionsgespräche
gibt es von Anfang an
Koalitionsgespräche
dauern ein Leben lang.


Und wenn der Wahlkampf vorbei ist, wirst du verstehn.
Es gibt da so Dinge, die muss man gemeinsam durchgehn.

Was wir alle voneinander wollen,
ich weiß es nicht genau.
Die Regierung ist jetzt rot und grün,
und dein Pullover ist jetzt blau.

02. Falk

03. Wohnungsschlüssel
Liedtext

Auf meinem Küchentisch, da lag der Wohnungsschlüssel,
den deine ausgehöhlte Faust eröffnet hat.
Ich sah ihn an, ich hätt ihn gern dazu bewogen
sich zu bewegen, diesen Witz mit langem Bart.

Du hattest mich bisher zweihundert Mal verlassen,
dann hast Du Sturm geklingelt und ich ließ Dich ein.
Doch heute lag der Schlüssel anders, lag im Sterben,
ich flehte: Bitte, lass mich nicht alleine sein.

Doch noch am Nachmittag erlag er seinen Leiden,
ich nahm die Kreide und umriss ihm das Profil.
Ich zog den Mantel an, der Hut über den Tränen
gab mir ein etwas kommissarisches Gefühl:

Da ist Deine gehöhlte Hand
aufgeschlagen,
hat ein Urteil eröffnet:
den Wohnungsschlüssel


Die Straßen zeigten nur verunsicherte Spuren,
ich sprach zu Kneipenmännern und Laternenfrauen.
Du hattest unsern Schlüssel tödlich verwundet.
Mord war mein Resümee im Morgengraun.

Ich schlurfte heim, die ganze Küche stank nach Eisen.
Der Schlüssel weste. Für Fotos war´s zu spät.
Du warst nicht da, doch ich begann Dir zu beweisen,
wo Deine Fehler lagen, eine Art Gebet.

Ich mußte raus und zum Papierwarenladen,
dann saß ich schreibend bis zum Abend im Café,
ich schrieb an Dich, d.h. an unsere Adresse:

Es waren Postkarten mit schönen Motiven
Es waren Postkarten mit schönen Motiven,
die lege ich dem Toten morgen aufs Gesicht.
Es waren Postkarten mit schönen Motiven,
denn die Schönheit vergeht ja nicht.


Auf meinem Küchentisch, da lag der Wohnungsschlüssel,
den deine ausgehöhlte Faust eröffnet hat.
Ich sah ihn an, und hätt ihn gern dazu bewogen
sich zu bewegen.

04. Juliette
Liedtext

Er spielte Tennis gegen sich im leeren Swimmingpool,
als sie am Beckenrand erschien.
Es war ein Sonntag, sie setzte sich in einen Gartenstuhl,
sie saß fünf Meter über ihm.

Sie fuhr so sanft mit Vaters Wagen an der Schule vor,
und ihr verfilztes schwarzes Haar
strich sie sich irgendwie französisch hinters Ohr
(das machte alles nur noch schlimmer).

Sie war nur sein Au-pair-Mädchen…

Erst war es nur die Liebe zum Akzent,
und weil Französisch sich in alle unsre Herzen brennt,
dann schrieb er abends immer öfter Tagebuch:
„Zwei Stunden lang im Baumhaus gesessen, noch niemals solche Crêpes gegessen“
und in seine Unterhose steckte er ein Taschentuch von ihr

Sie war nur sein Au-pair-Mädchen
und sie kam aus Paris,
sie hieß: Juliette
und als sie ihn verließ,
lag er auf ihrem Bett
im Gästezimmer und weinte.


Seinen Kopf in ihrer Achselhöhle, fragte er, wie lang sie bliebe,
und Juliette bestätigte: „Noch ein Vierteljahr.“
Er schwieg und wusste, sie war seine große Liebe,
er schwieg und wusste, dass Berlin nicht die Stadt der Liebe war…

Sie war nur sein Au-pair-Mädchen

Nachts schlug er den Atlas auf und stellte sie sich vor.
In ihrer anderen welt, dort am Gare du Nord

Sie war nur sein Au-pair-Mädchen
und sie kam aus Paris,
sie hieß: Juliette
und als sie ihn verließ,
lag er auf ihrem Bett
im Gästezimmer und weinte.

05. Alles zum ersten Mal

06. Unser Dorf
Liedtext

Unser Dorf hat noch immer dieses gelbe
Eingangsschild, weil man es sonst nicht sieht.
Unser Dorf an der Elbe
im alten Zonenrandgebiet.

Es wird beherrscht von einem einzigen Krämer,
alle andern Dienstleister zogen fort.
Die Häuser sind hier allemal bequemer
zu besetzen als in jedem mir bekannten Ort.

Trotzdem hingen wir meistens im Dorfkrug,
der war nicht gerade für die Jugend gemacht.
Und nicht ein einziger Mensch, den ich mochte
hat über Witze im Dorfkrug gelacht.

Ich treff mich hinter dem Dorf mit meinen Freunden,
einmal im Jahr, das ist allgemein bekannt.
Wir grillen und sitzen bis tief in die Nacht
mit Taschenlampen am Straßenrand…

und warten… und warten…
warten auf die… warten auf die…

Krötenwanderung.

07. Bildschirmschoner

08. Laß uns miteinander schlafen

09. Das zu Norwegen
Liedtext

In der Ferne ein rotes Holzhaus,
alle Jalousien sind unten, die Fensterläden zu.
Ich klopfe an die Tür, es öffnet
eine Dame in Schwarz-Weiß,
sie bittet mich zu Tisch.
Da sitzt ja schon die ganze Familie,
selbst der Sohn ist wieder da
vom Studentenaustausch in den U.S.A.
und man merkt ihm an, er kehrt nur heim, weil ihn etwas quält,
das zurückliegt, viele Jahre, er hat nie davon erzählt
vielleicht morgen,
wenn ich bleibe…

Die Frau des Hauses steht auf der Veranda,
sie raucht in richtung Fjord und sie weiß,
sie weiß nicht alles über ihren Mann.
Was heißt schon Dorfgemeinschaft!
Was heißt schon Tanzvergnügen!
Alle Jalousien sind unten, die Alarmanlage an.
Irgendjemand hier im Haushalt wird erblinden,
vielleicht morgen.

In der Nacht brennt dann das Seemannsheim am Hafen
(endlich Licht). Nur wer schuld hat, wird jetzt schlafen
oder spinnt da nur der Leuchtturm?
Ich bin unsichtbar, ich liege unterm Dach,
aber trotzdem, meine Augen, meine Ohren ...

Es ist alles noch genauso
wie vor hundert Jahren.
Es ist alles noch genauso
wie vor hundert Jahren.
Es ist alles noch genauso
wie bei Ibsen.

10. Die Welt

11. Hochspannungsmasten

12. Herr Nilsson ist ausgezogen

13. Nachbarin

14. Geldfragen
Liedtext

Wenn wir weniger schlafen, dann arbeiten wir mehr.
Wenn die Freizeit nachlässt, dann arbeiten wir mehr.
Und wenn die Freizeit anwächst, dann gehen wir nicht spaziern
Wenn wir von Ort zu Ort fahrn, dann nutzen wir die Zeit.
Wenn wir von Zeit zu Zeit gereizt sind, dann schlafen wir zu viel.
Und wenn wir weniger schlafen, dann arbeiten wir mehr.
Und wenn die Freizeit anstrengt, dann ist die Arbeit nur ein Witz.
Und wenn wir weniger lachen, dann arbeiten wir mehr.
Und wenn wir gut funktionieren, treiben wir Mannschaftssport.
Und wenn wir uns zurückziehn, dann arbeiten wir auch.

Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf?
Das war einmal. Heut wo sich alles überlagert,
wir sind nicht sentimental, ich sag ja nur, das war einmal.

Die Träume kommen und gehen.
Dass sie uns ausmachen, wissen wir.
Dass wir ihn niemals verstehen,
den Schlaf, dieses riesige Tier,
das alles ins Maul nimmt,
jeden Tag wie ein Reiskorn schluckt, in uns zuckt es,
die ewige Fortsetzungsreihe der Träume
setzt uns auf Startfelder zurück und zeigt, wie weit
wir erst sind. Degeneriert zum fragenden Kind:

Und wenn wir weniger schlafen, warum arbeiten wir mehr?
Und wenn die Freizeit nachlässt, warum arbeiten wir mehr?
Und wenn die Freizeit anwächst, warum gehen wir nicht spaziern?
Und wenn wir weniger schlafen, müssen wir da funktioniern?
Wenn wir von Ort zu Ort fahrn, warum lesen wir immer Fachliteratur?
Und wenn die Freizeit anstrengt, wie benennen wir sie nur?
Und wenn die Arbeit ausreicht, warum dann abends Mannschaftssport?
Und wenn die Zeit mal stillsteht, warum fahrn wir da von Ort zu Ort?
Und wenn die Arbeit entspannt, warum arbeiten wir mehr?
Und wenn wir weniger lachen, warum arbeiten wir mehr?

Presse

»Maximales Liedgut für die neue Mitte zwischen Popmusik und Dichtkunst.«
Ticket, Tagesspiegel


Herr Nilsson: Liebesleid und Fischigkeit

CD, 1998. Hier bestellen.

Das Debütalbum. Vom Ankommen der Westprovinzler im Nachwende-Berlin. Kachelofen und Außenklo, Tourträume bei Minus zwanzig Grad. Vielsagende Titel: Man aß hartes Brot mit schwarzer Seele und wünschte sich Sex im Forum-Hotel. Live eingespielt in einer Küche in Prenzlauer Berg.

01. Hartes Brot
Liedtext

Wenn dein Briefkastenschloss vereist ist
und dein Briefkasten ist im Hausflur
und deine Wohnungstür ist im Hausflur
wenn in der Wohnungstür ein Spalt ist
dann weißt du, warum es kalt ist
wenn der, der unter dir wohnt, verreist ist
und dein Briefkastenschloss vereist ist
dann erinnere dich, daß du noch nicht alt bist,
und fang an zu leiden…

Ja, Opfer muß man bringen, den Hiob muß man lesen,
ihn übertragen auf modernen Widerstand.
Ich gebe zu: ich war durch Innenklos total verweichlicht,
bis ich endlich die neue Altbauwohnung fand.

Die Sadomaso-Landschaft mit ihren Kachelöfen,
das ist für uns das reinste Paradies.
Der Nachkrieg grüßt durch unsre schimmeligen Einfachfenster,
die gab es schon, als der Wind noch richtig blies…

Es gibt kein hartes Brot, kein Brot – das ist hart.
Wir sind drei Enkel von Trümmerfraun.
Wir haben Mutterkomplexe und Großmutterkomplexe,
wir müssen einfach immer weiter baun…


Es ist ja klar, wir wohnen am Prenzlauer Berg,
wir haben uns vor fünf Jahrn dazu entschieden.
Doch erst seitdem man wieder Wasser selbst vom Brunnen holt,
sind wir hier wirklich ganz zufrieden.

Wir sind kartoffellastig, das kommt von unsern Müttern,
die hat man damals genauso durchgebracht.
Das Land war sehr verwüstet, dann kamen unsre Omas,
und haben aus Scheiße Gold gemacht.

Es gibt kein hartes Brot, kein Brot – das ist hart.
Wir sind drei Enkel von Trümmerfraun.
Wir haben Mutterkomplexe und Großmutterkomplexe,
wir müssen einfach immer weiter baun…

02. Die Stadt
Liedtext

Und dass die Stadt
in ihrem Innern
keinen Friedhof mehr hat,
und dass die Stadt
in ihrem Innern
keinen Friedhof mehr hat,
und dass die Stadt
ihr eigner Friedhof ist,
und wo du bist,
ist keine Wohnung,
sondern einfach nur ein Grab,
und was ich hab,
ist nur ein Ort,
weil alle Lebenszeichen,
wenn ich sie zusammenzähle,
reichen nur zu – nein, sie gleichen
einem Sterbenswort.

Und die Liebe:
nur ein Schuss
und fünfzig Jahre nun verlorn,
in ihren Ohren, ihren Uhren
staubt der Quarz.
Die Witwenträume sind zuhaus
genauso schwarz
wie alles andere, was er
im Schuhschrank hinterließ
und wie er hieß
es ist egal,
weil alles einmal fällt
und dann kein zweites Mal:

Die Kastanien im Herbst,
die Blätter einer Blüte,
meine Güte
kann den Schmerz nicht übersehn,
dass wir vergehn.
Und nicht erst dann
an diesem Punkt
zwischen Humus und dem Sand,
den wir verbannt
in die Bezirke ganz ins Draußen
vor der Stadt,
die keinen Friedhof mehr hat.

Der Horizont und seine Ferne
verstärken nur die Angst,
sich länger hinzulegen.
Und wenn du verlangst,
dass ich den Tod mir aufbewahre
für den Schluss –
muss ich verstummen,
denn der Fernseher ist ja an.
Noch einen Kuss auf deine Lunge
und ich lasse dich allein
mit deinen Schachteln, Dosen,
Kisten, deinen Särgen,
die nur weiterhin das bergen,
was an anderer Stelle hell daherkommt.

Das Abseits Jenseits,
es bestand in uns und
hat sich umgedreht.
Es war mal vorne,
doch es ist zurückgeweht,
es stellt sich ein.
Und das Gesicht des Moderators
ist zur Hälfte schon aus Stein.
Wie kann es sein,
dass du die Schuldenlast
aufs Lebenskonto schreibst?
Ist jedes falsche Grinsen
nicht geschickt vom Tod,
der nichts bedroht
sondern nur ist
und wo du bist
ist keine Wohnung,
sondern einfach nur ein Grab,
das, was ich hab,
ist nur ein Ort,
weil alle Lebenszeichen,
wenn ich sie zusammenzähle,
reichen nur zu – nein, sie gleichen
einem Sterbenswort.

03. Deutscher Film

04. Kinderlied
Liedtext

Ich mach den Teller richtig leer
Bei meinem Abendbrot
Denn andre leiden Hungersnot
Ich sag zu Mama: Bitte sehr
Nach meinem Abendbrot

Dann gibt es morgen Sonnenschein
Und früh schon mildes Morgenrot
Die ganze Welt ist dann im Lot
Ich laß euch alle glücklich sein
Nur durch mein Abendbrot

Doch als ich einmal brechen mußt
Da kamen Regen, Flut und Tod
Ich saß geschützt im Ruderboot
Ich hatt’ es ja zuvor gewußt
Nach meinem Abendbrot

05. Schwarze Seele
Liedtext

Ich habe eine schwarze Seele, doch die ist nicht immer da.
Ich habe eine schwarze Seele, die ist nicht bürgernah.
Ich habe eine schwarze Seele, die lässt keinen Nachbarn rein.
Ich habe eine schwarze Seele, die will mit mir alleine sein.

Ich habe eine schwarze Seele, die meine Einsamkeit bewacht.
Sie hat schon so manche Freundin ausgezogen, umgebracht.
Ich habe eine schwarze Seele, die keinen Hilfeschrei erhört.
Und weil sie Rundfunkstimmen hasst, hat sie mein Radio zerstört…

Ich will nie wieder gesellschaftsfähig sein…

Ich habe eine schwarze Seele, die misantroph ist und mich mag.
Wir gehen nicht in den Plenarsaal, wir gehen noch nicht mal in den Park.
Sie liest in meiner Tageszeitung und findet nichts informativ,
sie sagt: Das ist nicht links, und das ist nicht rechts, und es ist trotzdem schief.
Sie weiß, die Ansichtslosigkeit, mit der wir täglich Seiten füllen,
ist nicht zum Lachen, nicht zum Weinen, sondern einfach bloß zum Brüllen.

Ich will nie wieder gesellschaftsfähig sein…

Ich habe eine schwarze Seele, sie kommt bei Tag und in der Nacht.
Sie hat mich immer schlafen lassen, dafür schon oft ins Bett gebracht.
Ich habe eine schwarze Seele, die mich körperlich bedroht,
und würd ich dieses Lied nicht singen, ich wär vielleicht schon tot.

Ich will nie wieder gesellschaftsfähig sein…

06. I’m no MF

07. Ganzkörperrasur

08. Straße zur Freiheit

09. Pritschenwagen
Liedtext

Wir sind ausgestiegen
in einem Pritschenwagen
fuhren wir in die Walachei.
Wir sind ausgeblieben
selbst an den Weihnachtstagen
war uns Familie einerlei.

Ich hatte Durchfall
und du hattest deine Tage.
In diese krisenstimmung fiel der erste Schnee.
Wir sprachen über Urknall
und die Entwicklungsfrage,
die Existenz so vieler Menschen tat uns weh.

Wir kochten Tütensuppen,
die Nächte wurden kälter
und das Benzin ging schließlich aus.
Wir sahen sternschnuppen
über dem Flußdelta.
Wir zogen weiter in den Winterfrost hinaus.

Hier ging unser Leben hinunter,
hier ging unser Leben hinunter.


Wir wanderten verschwiegen,
es gab jetzt nichts zu sagen,
nur hin und wieder gaben wir uns einen Kuss.
Wir waren ausgestiegen
in einem Pritschenwagen
und machten regelmäßig miteinander Schluss.

Auf einem Hügel tranken
wir den ersten Gipfelschnaps.
Der Höhennebel kroch dir leise unters Kleid.
Wir waren beide alt genug,
um es zu wissen:
Ich wollte Sex aber du warst noch nicht soweit.

Ich wollte grad ein wenig
Männlichkeit beweisen
und mußte weinen: Die Welt hing ja so schief.
Du wolltest mich nicht mehr sehen,
alleine weiterreisen,
und legtest dich doch wieder zu mir, als ich schlief.

So ging es viele Nächte,
ich träumte Frühlingsblumen,
schrak plötzlich auf und lag bei zehn Grad Minus wach.
Die Stille wurde tödlich,
ich griff mir etwas Spitzes
und lief damit hinab zum eisbedeckten Bach.

Ich stückelte und stocherte,
in einer schlimmen Ahnung
sah ich hinab ins freigelegte Loch.
Die ganze Winterruhe
hatte ich aufgebrochen,
denn unterm Eis strömte so ein Bach ja doch.

Das war die Einsicht und das Ziel:
Wir waren wenig, Zeit war viel,
hier ging unser Leben hinunter.
Ich warf noch Steine hinterher
sie gingen unter, waren zu schwer.
Hier ging unser Leben hinunter

Wir sind ausgestiegen
in einem Pritschenwagen
fuhren wir in die Walachei.

10. Sex im Forumhotel
Liedtext

Bei mir kann man aufs Dach gehn
und auf die ganze Stadt sehn,
nur sieht man keine Männer, und niemals sieht man Fraun.
So sitz ich und vergeude
mein Leben an Gebäude,
die sich mit mir bis nach hier oben traun.

Hier lässt sich nicht gut trinken,
denn trinken heißt versinken,
und das ist schier unmöglich, ich sitz ja auf dem Dach.
Dasselbe gilt fürs Rauchen,
ich würd gerne in mich tauchen,
allein der dumme Ausblick hält mich wach.

Es ist schon spät, das ging wie immer schnell,
der Mond steht rot auf dem Forum-Hotel,
auf dieser Eizelle der perversen Berliner Nacht.
Ich bin allein, das geht nicht immer schnell,
ich frier, ich hab ein denkbar dünnes Fell,
ich hab noch nie ne Nacht im Forum-Hotel verbracht.
Mein Bett ist nichts als ein braunes Holzgestell,
ach, hätt ich Sex dort im Forum-Hotel,
es wär mir scheißegal, in welchem Bett,
und wenn’s zusammenkracht…

Bei mir kann man aufs Dach gehn
und auf die ganze Stadt sehn.
nur sieht man keine Männer, und niemals
sieht man Fraun.

11. Es hängen wieder Sterne
Liedtext

Seit man Knie, auch den Magen, seit man alles spiegeln kann,
fängt mit jeder Symmetrieachse ein neues Leben an,
das sich anders zu der Müdigkeit des Vortages verhält,
das sich nicht anbiedern will, nicht in die Kaufhausschlange stellt,
um Produkte zu erwerben, die Geschmack reproduziern
und uns wieder über Vortagsmüdigkeiten informiern.
Diese gespiegelten Leben spieln sich ein, spieln sich auf,
und das macht es halt so schwer, schriftlich einen Lebenslauf
zu verfassen und ihn einzutüten für die Großkonzerne.
Während Deine Post sortiert wird, siehst Du kleinlaut in die Sterne,
deren Licht Dich auseinanderreißt in tausend Ethnologen,
die sind alle ganz verschieden und sie schwatzen Dir Gepflogen-
heiten der Kulturen Deines Körpers in die Runde.
Jeder Abend ist ein Pflaster auf der unverheilten Wunde.
Du triffst leider immer Freunde, die nach Heirat lauter denken,
ihren Samen zu verschenken, um den Steuersatz zu senken,
sie sind ihrer selbst so sicher und so gar nicht schizophren –
ihre Stimme klingt so schlüssig, Du stehst auf und sagst: Muss gehn,

Deine Sprache hat kein Zentrum, sie hat nicht einmal ein Du
schlägst das Wörterbuch blind auf und schlägst es taubstumm wieder zu…


Morgens hast Du Dich gesammelt, doch auf Deinem Frühstückstisch
liegt ein neuer Taschenspiegel, Dein Gesicht ist ein Gemisch
(wie an all den letzten Tagen) aus Vergangenheit und Fragen
an die Zukunft. Du brauchst Fundgruben, findest Deine Grübchen,
bohrst hinein mit allen Fingern, bohrst hindurch ins Hinterstübchen,
wo sich alle Wahrheit Grüße zuwirft ohne stehenzubleiben.
Labyrinthische Gedanken in die Sackgasse zu treiben,
steht Dir gut, sieht echt gut aus, doch es ist absonderlich:
Ich seh das Künstler-Ich, das Haushalts-Ich, das Studenten-Ich,
wie sie sich gequält umschlingen, gegenseitig fasziniern,
nur um hinterrücks dem anderen die Fresse zu poliern.

Es wird Nacht, die Nacht ist wolkenlos, es hängen wieder Sterne
über Dir, über Berlin, über der ganzen Postmoderne.
Deine Sprache hat kein Zentrum, sie hat nicht einmal ein Du
schlägst das Wörterbuch blind auf und schlägst es schreiend wieder zu…

12. Badewasser-Einlasser
Liedtext

Lass mich Dein Badewasser-Einlasser sein,
lass mich dein meeresblauer Stöpselklauer sein,
lass mich dein Handtuchhalter sein,
lass mich dein Fön-Einschalter sein.
Komm, mach das Badezimmer auf und lass mich rein.

Lass mich dein Abendkleider-Unterscheider sein,
lass mich dein eklig-pinker Lippenschminker sein.
Ich will dein Blumengießer sein,
lass mich dein Reißverschließer sein.
Komm, mach das Wohnzimmer auf und lass mich rein.

Lass mich Getränkerüttler, Bettaufschüttler sein,
ich will dein Traumbewacher, Frühstückmacher sein.
Lass mich dein Platzanweiser sein,
und lass uns bloß nicht leiser sein!
Komm, mach das Schlafzimmer auf und lass mich rein.

Presse

»Herr Nilsson ist die Antwort aus Prenzlauer Berg auf das deutsche Betroffenheitschanson.«
FAZ